Völlig subjektive und unvollständige, ergänzte und leicht überarbeitete Notizen meiner drei re:publica-Tage in diesem Jahr. Weil's mir so langsam viel zu schade ist, diesen Impact an Ideen, Wissen und Vernetzung jedesmal "nur" zu erleben - und nicht wirklich zu verarbeiten oder noch besser: zu integrieren.
Weil ich auf den Hintereingang mit der deutlich kürzeren Registrierungsschlange spekuliert hatte, den es anscheinend gar nicht mehr gibt [?! mir scheint es auch, als ob das Gelände signifikant verkleinert wurde, den Außenbereich mit Schiff/Terassen etc gab es diesmal nicht und ich war ein bisschen traurig darüber], wurde ich mit Menschenmassen konfrontiert, von denen ich definitiv kein Teil sein wollte. Also spazierte ich einfach durch die nicht so schöne, aber vom sommerlichen Wetter aufgehellte Gegend um das Gelände der STATION und hörte mich durch die Keynote Session von Prof. Dr. Björn Ommer mit dem Titel "Generative KI und die Zukunft der Intelligenz" [ganzer Vortrag auf YouTube].
Ob es am Spazierengehen und den visuellen Ablenkungen ODER meinem Vorwissen lag - oder doch halt am Vortragsstil/Inhalt! - weiß ich nicht: Ich fand es leider dünn und wenig bahnbrechend neu, was der Herr Ommer so erzählt hat. Der eine Punkt, den ich einprägsam fand und festhalten möchte:
- Die menschliche Fortbewegung hat sich den Großteil unserer Geschichte in der Ebene abgespielt, sei es zu Fuß, mit Booten auf dem Wasser oder auf Reittieren, in gezogenen Wagen, auf dem Fahrrad oder im Auto und mit dem Zug. Die Entwicklung von Flugzeugen hat das Reisen grundlegend transformiert, weil erst damit die dritte Dimension genutzt werden konnte. Ähnlich verhält es sich mit generativer KI: Unsere [bisherige] Informationsgesellschaft bzw. jede einzelne Person wird prinzipiell erst durch die Nutzung von KI befähigt, das in dem Übermaß an vorhandener Information enthaltene Wissen auch persönlich und in relativ kurzer Zeit [Echtzeit?] nutzbar zu machen! Die realistische Wissensgesellschaft also eigentlich erst seit "jetzt" und nicht schon als direkte Ablösung der Industrialisierung.
Als nächstes eines der wenigen Panel, die ich mir ausgesucht hatte, die wirklich mit allen drei Generations besetzt waren, "Create against Hate. Erfolgsgeschichten trotz digitaler Schattenseiten" [Youtube]. [Lag es an meiner Auswahl oder ging das auch anderen so, dass XY den Großteil der Akteur*innen gestellt haben?! Ist vielleicht die TINCON "Schuld", die ja parallel stattfindet?]
Moderiert wurde von Jana Pareigis, im Panel waren Lilly Wolkersdörfer von jung genug, Meltem Yurt von den Migratöchtern und Franziska Merkel-Anger von den Omas gegen Rechts vertreten. Etwas mäandernder Talk, bei dem die drei Teilnehmerinnen insbesondere auch berichtet haben, wie unterschiedlich in den drei Gruppen mit Hate im Netz umgegangen wird. Bei den Migratöchtern wird zum Beispiel bei Beiträgen, die erwartbar negative Reaktionen erzeugen werden, im Voraus eine Art Handreichung erarbeitet, die dann von denen, die "Dienst" haben, genutzt werden kann. Enthalten sind Quellen/Links, Argumente, hilfreiche Antworten auf Fragen usw. Die Omas gegen Rechts hingegen stellen vor der Veröffentlichung von Themen eine interne Mehrheit/Zustimmung her, um keine Hate-Wellen über einzelnen Zusammenschlagen zu lassen. Gibt es die nicht, wird zu dem Thema nichts gemacht.
Und auch hier ein Punkt [mit Anhang], den ich für mich markierenswert finde:
- We [as society] need Diskurs. Das ist zum einen etwas ganz anderes als eine Diskussion, hat schon der mittlerweile in die Jahre gekommene, damals noch recht "junge" Gunter Dueck auf meiner ersten re:publica anno 2012 gepredigt und mich damit ziemlich beeindruckt. Er hat in seinem Vortrag Diskurs als "voneinander lernen", "sich mit den Gemeinsamkeiten beschäftigen", "sich aneinander weiterentwickeln" definiert, im Unterschied zur Diskussion, in der es so oft eher um die Erläuterungen der eigenen Standpunkte geht, die ... eben nicht verlassen werden.
- Von allen Beteiligten im Panel wurde betont, dass gerade ein Diskurs, der in der digitalen Öffentlichkeit stattfindet, personalisiert und individualisiert angeboten werden sollte. Warum? Sobald Annahmen über andere Personen oder Gruppen gemacht werden, fängt Spaltung an, vgl. auch: "Nothing without us about us!" Echte Inklusion, Teilhabe, Vielfalt heißt, alle Stimmen zu hören und eben insbesondere auch die Innenwelt und -sicht von Beteiligten darzustellen. Ungefähres Zitat von Meltem Yurt: "Wir zeigen eben auch: Wie FÜHLEN sich die Personen dabei?" Fand ich im ersten Moment kontraintuitiv, weil so ja Menschen exponiert werden, aber naja, [inklusiver!] Diskurs geht anders nicht, sehe ich jetzt auch.
Als drittes hab ich dem [bekannten IT-Fach-/] Rechtsanwalt Chan-Jo Jun und einer seiner mittlerweile über 30 Mitarbeiter*innen, der Rechtsanwältin Jessica Flint bei einem [für mich etwas zu animierten, aber] inhaltlich sehr bereichernden Vortrag zugehört: "Machtfaktor Social Media - gestern war der beste Tag, mit Regulierung die Demokratie zu bewahren." [YouTube] Ein eindrückliches Beispiel für die dringende Notwendigkeit zur [staatlichen!] Regulierung: Nach der Erstellung eines nagelneuen Tiktok-Accounts, bei dem Likes an alle deutschen Parteien vergeben werden, bekommt dieser Account zu 78% [!] ... die AfD eingespielt. Bei X sind es bei vergleichbarem Account-Aufbau "nur" 64%, aber das Muster wird klar.
Ein anderes Beispiel ist der aktuelle Crypto Scam [Spuk!], der mit dem Namen und der Person der Journalistin und Moderatorin Anja Kohl [man kennt sie u.a. aus der "Wirtschaft vor acht"] aktuell umgeht. Hier werden mit großem Geschütz, von Text/Bildern online über Telefonanrufe mit KI-Stimme bis hin zu deep fake-Videos angebliche Investitions-Empfehlungen von Frau Kohl in die Welt gepustet. Sie geht mittlerweile juristisch dagegen vor, es ist allerdings ein Kampf gegen Windmühlen, weil ... die Regulierung fehlt.
Was ist eigentlich der Grund dafür, warum werden Social Media-Plattformen so schlecht kontrolliert und können quasi nie für illegal durch User gepostete Inhalte zur Rechenschaft gezogen werden? Ein wichtiger Grund dafür ist das sogenannte Providerprivileg [Präzedenzfall ist aus 1999!], bei dem der Inhalt als komplett disjunkt gesehen wird und dem [eigentlich Internet-] Provider rechtlich keinerlei Verantwortung für die verarbeiteten Inhalte auferlegt werden darf. Nun ja, und solange wir bei Social Media noch von "Plattformen" sprechen, ist es eine Art Grauzone/Schlupfloch - und für diese tatsächlich billiger, die staatlichen Regulierungen und Vorgaben von Deutschland/der EU eben nicht durchzusetzen, sondern in Rechtsstreitigkeiten auf das Providerprivileg zu verweisen.
Soziale Medien verarbeiten aber ja nun tatsächlich die Inhalte, die von Usern eingestellt werden, mindestens durch die algorithmische Aufbereitung der allseits vertretenen nicht-linearen Timelines - und damit kann das Providerprivileg definitiv nicht mehr herangezogen werden, so RA Jun im Talk. Laut ihm und RA Flint wäre das einzig richtige Vorgehen dabei, alle algorithmisch Inhalte aufbereitende Social Media-Plattformen hinfort als Medienunternehmen einzustufen. Dann ist die Verantwortung für die Inhalte gegeben und die bereits existente Regulierung greift endlich, mit allen für die Unternehmen teuren und für uns als Gesellschaft wirksamen Folgen. - Sehr erhellend!!
Zum Abschluss hab ich noch [schon im Hängesessel im Hüttenpalast chillend] dem kurzen Vortrag "Vernetzte Gewalt. Analyse und Gegenwehr" [YouTube] vom Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen gelauscht. Er spricht in Bezug auf Shitstorms und Hate im Netz von "vernetzter Gewalt", die einzigartig in der Geschichte der Menschheit ist. Warum? Es geht dabei im Kern um die verlorene Kommunikationshoheit - denn wer weiß zum Beispiel schon, dass Franklin D. Roosevelt, Ex-Präsident der USA, im Rollstuhl saß?! Roosevelt hat das geschickt geheim gehalten; laut Pörksen gibt es nur 2 Fotos von ihm im Rollstuhl und laut Wiki nur wenige Sekunden an Filmmaterial, das ihn gehend zeigt. Letzteres war ihm auch nur möglich, indem er Beinschienen trug, die er in weiten Hosen versteckte und zusätzlich einen Stock und einen Menschen als beidseitige Stützen benutzt hat.
Pörksen beschreibt eine Entwicklungskaskade von der Erfindung der ersten Schrift [dauerhafte, personenunabhängige Wissensspeicherung] über die der beweglichen Lettern [schnelle und einfache Reproduzierbarkeit und damit örtliche Ausbreitung von Wissen] bis hin zur totalen Vernetzung der heute an jedem Ort zeitgleich stattfinden könnenden Kommunikation via Internet. Unter diesem Aspekt ist laut Pörksen sehr, sehr viel Bildung notwendig, um das positiv zu halten und nicht darunter zu leiden. Wirklich begreifen können unsere Gehirne das nämlich nicht ohne weiteres. - Off topic Bemerknis: Den Russlandkrieg gegen die Ukraine bezeichnete er als "geopolitische Verwerfung der Sonderklasse".
Mehr war denn auch nicht drin von der Aufnahmekapazität her. Tag 1 war schön!
PS: Am Sonntag auf dem Hinweg von Hannover nach Berlin hab ich meinen pinken Turnbeutel mitsamt Emsa-Becher, Bibliotheksbuch [beides nicht soo schlimm], Ladekabel/Stecker für's Handy [mittelschlimm] und Portemonnaie [wegen der ganzen Karten: superschlimm!] im Zug liegengelassen. Immerhin waren die Medikamente diesmal im Koffer. Weil ich eins [sic!] Fuchs bin, hatte ich sogleich vier verschiedene Lösungsvorgehen parallel: Online-DB-Formular ausgefüllt; Geld erhalten via [ggf. über dritte] Bekannte; unkomplizierte [!] 50€ aus der Kasse vom Hüttenpalast, um notfalls 24h durchzuhalten; telefonisch in den Kontakt zu DB-Menschen zu kommen, die mir wirklich helfen können. Letzteres hat dann via Hack [Anruf bei einer Hotline für DB-Webservices] funktioniert und ich landete im Endbahnhof Berlin Ost - wo ich nach insgesamt knapp 2h Trennung den Beutel an mein Herz drücken konnte. Dank an Unbekannt für's Abgeben!! <3