8. März 2018

alles immer in der mitte


[Es handelt sich hier um einen Text, den ich im September 2017 schrieb, in einem Ordner mit dem Titel Braindump speicherte - und heute wiederfand.]

ein jurist ist 2012 zu gast bei lesch&co zum thema “wahrheit und gesetze” [youtube.com], es geht u.a. um den streit zwischen naturalisten und positivisten [vgl. naturrecht vs. rechtspositivismus, diese und alle nicht gek. links: wikipedia.de]: “[…] und wie immer liegt die wahrheit natürlich in der mitte!”, behauptet der da einfach.

mein erster gedanke bei diesem nebensatz: tut sie das? immer?! liegt wahrheit bei allen großen und sich widersprechenden theorien etc. immer irgendwo dazwischen, im ungefähren, verwaschenen?

die erfahrung mit streitenden menschen, zB nachbarn oder liebespaaren, suggeriert zwar irgendwie, dass das richtig sein könnte, aber schon beim thema “sklaverei – yay or nay?” gilt das zumindest heute [und dem selbstverständnis als aufgeklärtem westlichen menschen nachfolgend] ganz und gar nicht mehr.

exkurs:
einer meiner professoren für wirtschaft erläuterte neulich und als exkurs [haha!] das konzept der doppelten freiheit [nach marx]. laut ihm gilt das auch für die heutigen arbeitnehmer =lohnarbeiter, die ja art/ort und lohn der arbeit selbst bestimmen und aushandeln müssen. er hat klar gemacht, wie das ganze im endeffekt dazu führt, dass “wir” im durchschnitt mehr als 40h und idR nicht für uns selbst arbeiten, häufig unsicher beschäftigt sind und dabei auch noch verantwortlich dafür, eine solche arbeit überhaupt zu finden. - es lohnt sich, mal den artikel lohnsklaverei mit der gegenwart als leitszenario im hinterkopf [minijobs und armutsgrenzen etc.] zu lesen.

und in der politik gilt das mit der mitte mMn auch nicht. klar muss qua definition in einer demokratie [! demos=volk, kratos=herrschaft] die wie auch immer gebildete leitherde aus politikerInnen [=regierung] eine mehrheitsmeinung des volkes abbilden, aber genau die liegt doch nicht bei allen themen justemang [plattmakers.de] in irgendeiner [“gemäßigten”, wenn ich das schon höre...] mitte? klar, die ist schwammig genug, um häufig eine mehrheit auf sich zu vereinen, aber das ist ja etwas völlig anderes.

um zur ausgangsfrage zurückzukommen:
es ist kompliziert, aber: nein. bei eigentlich allen themen ist populismus, also verwässern, unnötiges und gefärbtes simplifizieren keine gute lösung. und wie meike lobo einmal in einem ihrer artikel mit dem titel Wer sind eigentlich "die da oben"? festgestellt hat, bedarf es nicht eines gequirlten reduzierten durchschnitts der vorhandenen komplexität, sondern einer fundierten, sachlichen, öffentlichen und vor allem für alle verständlichen auseinandersetzung mit den [politischen/gesellschaftlichen] sachverhalten.

in diesem sinne würde ich gern weitermachen/-denken. meike stößt das in ihrem artikel ausdrücklich an, aber nachdem ich die kommentare nochmal gelesen hab, bin ich in etwa genauso weit wie zuvor. auch: nützt information allein überhaupt etwas, kann das was bewegen?

PS:
ach, und “es wird zuviel verrechtlicht” - auch eine interessante aussage im o.g. video. da sitzt also ein wissenschaftler/jurist und beschwert sich bei der bzw. über “die politik”, dass sie sich um ggf. schwierige, unpopuläre entscheidungen herumdrückt und diese auf das bundesverfassungsgericht abwälzt. guter gedanke zum weiterdenken, finde ich.

PPS:
im verlauf des lesch&co-gespräches geht es dann auch um das thema sachverständige. juristen sind doch irgendwie [sehr vereinfacht ausgedrückt!] diejenigen, die ausgebildet sind, strittige sachlagen im gültigen rechtsrahmen neutral zu bewerten. dass sie diese aufgabe in einer immer komplexer werdenden welt mit exponentiell ansteigendem wissen [oder besser: mit immer ausgestalteteren theorien…] nicht ohne inhaltliche fachberatung ausüben können, ist offensichtlich. genau dazu gibt es sachverständige für alle möglichen themen, und hier kommt noch eine völlig aus dem zusammenhang gerissene anekdote:
ich spielte in kaiserslautern mit einem streichquartett/-quintett auf vielen verschiedenen veranstaltungen, und einmal landeten wir auf etwas, wo auch frischgebackene “sachverständige schimmelpilz” ihre urkunden erhielten. wir saßen während der verleihung, also vor unserem auftritt und entsprechend noch etwas nervös, mit dem gesicht zum publikum in einem halbkreis auf der bühne – und mussten leider wahnsinnig lachen ob der skurrilität, und auch wegen der tatsache, dass es anstelle einer medaille oder ähnlichem einen [physischen] stempel zur urkunde dazu gab. versteht man jetzt im nachhinein natürlich schlecht, war aber situationskomik vom feinsten.