12. März 2014

Die Gemüsekiste oder: Der Vertrag mit L.

Ich habe ein Abkommen mit der Tochter meiner Arbeitskollegin und das geht so: "Keine Ohrringe, keine Kiste!"

Seit fast anderthalb Jahren lassen wir uns mit einer Gemüsekiste beliefern. Anfangs dachte ich noch, die Änderungsschneiderei gegenüber könnte die Kiste entgegennehmen, das wird bei Paketen nämlich für viele Nachbarn und uns oft so gehandhabt. Wir arbeiten ja beide, die Kiste wird mittwochs zwischen 10 und 14 Uhr geliefert... Aber da unterschätzte ich die Fähigkeiten einer Holzkiste mit Gemüse, Eiern, Wurst, Brot und Obst, ein Ärgernis für viele zu sein.

Die Inhaber der Schneiderei gaben mir nonverbal recht schnell zu verstehen, dass das in Empfang nehmen der Kiste nun nicht gerade zu ihren freudigst erledigten Aufgaben der Woche gehört [warum, bleibt mir unklar - die Kiste beißt ja nicht, sie müssen sie noch nicht mal anfassen]. Um den nachbarlichen Frieden aufrecht zu erhalten, disponierten wir um. Ich fragte am Empfang meines Institutes, weil ich dachte: Einmal pro Woche so'ne saubere Holzkiste, die dort für 1-4h neben den zig privaten Paketen rumsteht, stört auch nicht weiter. [Und sie müssen weder die leere noch die getauschte volle Kiste anfassen, das macht der Lieferant schon selbst. !] Wir führten das Prozedere 2x durch, dann war Schluss mit lustig, ohne "richtige" Begründung. Vermutlich die Optik, wer weiß das schon. Wobei man die Kiste gar nicht seh... - ach, egal. Ich schweife ab.

Wir hatten den liefernden Hof von [m]einer Kollegin empfohlen bekommen, und wie es der Zufall so will, wohnt sie sehr in der Nähe des Instituts. Ich fragte sie, ob das ok wäre, wenn unsere Kiste auch zu ihnen geliefert würde - und "Klar!" war das ok! Seither fahre ich frohgemut jeden Mittwochmorgen mit einer leeren Gemüsekiste eine kleine Schleife und stelle die Kiste dann vor Kollegins Haus. Abends auf dem Heimweg fahre ich den gleichen Schlenker rückwärts und ... Und.

Klingele an der Haustür meiner Kollegin. Und höre trappelnde Füße auf dem schnellsten Weg zu mir. Die Tür wird mit großer Gebärde aufgerissen und L. [~7 Jahre?] schaut mich von unten erwartungsvoll an, mit schiefgelegtem Kopf und die schwere Holzkiste umklammernd: "Welche Ohrringe??!" Ich muss grinsen [das muss ich IMMER, jeden Mittwoch!] und bücke mich, um ihr mein linkes Ohrläppchen hinzuhalten. "Heute sind's die Äpfel." "A-ha. HIER ist die Kiste!" Sie streckt mir beide Hände mit der Last entgegen, ich nehme sie ihr ab und fahre unweigerlich gut gelaunt mit meiner Kiste nach Hause. Mir hätte echt nichts besseres passieren können, als die blöde Gemüsekiste zu meiner Kollegin liefern zu lassen.

Neulich hatte ich morgens ausgerechnet an einem Mittwoch vergessen, ÜBERHAUPT Ohrringe anzuziehen [ja doch, das sagt man so]. L. war entsprechend enttäuscht und forderte für nächstes Mal nicht nur Ohrringe, sondern sogar bestimmte: "Die Bücher, da wo ich auch ein Bild reingemalt habe!" Natürlich erfüllte ich in der folgenden Woche die Vorgabe - remember, Kiste gegen Ohrringe, wa?! - Als sie letzte Woche nicht zu Hause war, knipste ihr Bruder [~13?] pflichtbewusst und ernsthaft mit seinem Handy mein Ohrläppchen mit dem 3D-Papierstern. Und seit heute weiß ich, dass nicht nur die Familie, sondern auch die Nachbarskinder bereits informiert sind: Die Freundin von L. spielte auf der Straße, als ich die Kiste abholte. Sie sagte lässig im Vorbeigehen zu mir: "Ohne Ohrringe keine Kiste, ne?" Was sollste da noch sagen...


PS: Das war Schreiben ohne Smilies für Anfänger. Hab' die gar nicht vermisst.